Scylla: Die Kälte des Lebens von Ahnengalerie aus der Kategorie Freier Text - Kritisches |
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Die Kälte kam langsam und schleichend. Subtil, dass es kaum aufgefallen ist. Aber dennoch ist sie da und offenbart sich nur denjenigen, die wagen einen Schritt zurückzugehen. Das Universum basiert nur auf einigen wenigen Prinzipen wie dem Prinzip von Ursache und Wirkung, der natürlichen Selektion, Heisenbergsche Unschärferelation oder auch, dass es ohne Leid und kein Glück geben kann. „Jedes Lebewesen hat das Recht, Leid zu vermeiden und sein Glück zu mehren“ - Dalai Lama Und wir sind Weltmeister geworden „unser Glück zu mehren“. Mit unseren iPods, Alufelgen und dem Sommerurlaub auf Ibiza. Mit unseren seichten Cosmopolitan-FHM-Beziehungen, den 10 Tipps zum besseren Sex und perfekt aufgeräumten Essbesteck-Schubladen. Schlimmer noch - wir sind Technokraten geworden wenn es darum geht unser „Glück zu mehren“ - ohne Verständnis für das wirkliche Wesen von Glück und Schönheit. Und ohne das Verständnis, dass man auch Leid empfinden muss um Glück zu fühlen. Empathie ist den Technokraten des Glücksgefühls schon lange fremd geworden und den meisten stört es nicht, dass unser „Glück“ durch das Leid anderer ermöglicht wird. Die Technokraten des Glücks befinden sich im Dauerrausch des Konsums und ihrer seichten Beziehungen – mit schon längst verlorener und vergessener Intensität – und zwei Packungen Prozac im Nachtischschrank. Empathie verkrüppelt zu geheucheltem Mitleid bei verblödeten Vormittagsshows und Leid wird nur noch empfunden wenn im Audi ein Kratzer drin ist. Die Intensität des Lebens und Erlebens auf Minimalspur mit unglaublicher Oberflächlichkeit und Ignoranz. Schönheit wird quantifiziert, 90-60-90, „10 Beauty Tipps“ in jeder Zeitschrift. Dabei ist Schönheit wie der Dieb in der Nacht. Sie ist nicht offensichtlich, macht keinen großen Lärm, und kennt viele verschiedene Wege. Die Schönheit versteckt sich in Worten, Gestik und Mimik, Gefühlen und Taten. Nicht in der Perfektion der Optik und Proportion. Der Technokrat hat sich schon lange davon verabschiedet Schönheit zu entdecken sondern verlässt sich auf metrische Maße. Selbst in der Musik haben die Technokraten der perfekten Mischung am Pult das Sagen und nicht mehr die schlichte und unperfekte Schönheit der Musik einer Traci Chapman. „Regelmäßige Gesichter mögen für viele Leute anziehend sein, aber ich weiß selbst, wie schnell man alltäglicher schöner Dinge müde wird. Es gibt etwas in uns, was größere Schönheit verleiht. Es ist das was man Leid nennt; wenn das so groß wird, das es sich nach außen in deinem Blick verrät, dann schenkt es dir einen Ausdruck, der viel schöner ist als normale Schönheit.“ - John Knittel Ich liebe die Kälte wenn ich tief durchatme und sie meine Lungen füllt. Ich mach meine zivile Army –Jacke, auf der noch ein paar Dreckflecken vom letzen Freestyle-Soccer sind, zu und genieße den ersten Schub Wärme - und lach über die beiden „Consumer-Bitches“, die mich beim Vorbeigehen abfällig mustern. Ich liebe die Kälte. |