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Werwoelfin: Im Jahr 2050: Erst, wenn der letzte Tropfen Benzin... Eigenwerk
von Ahnengalerie aus der Kategorie Geschichte - Nachdenkliches, Ernstes

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Texte -> Geschichten
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Erstellt:    28.01.2005 00:00
Geändert: 28.07.2008 20:22
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Der Schlauch der Zapfsäule gab ein hohles, trockenes Geräusch von sich und ließ Michael an ein Kind denken, das mit dem Trinkhalm die letzten Tropfen aus einem Glas schlürft. Die Anzeige blieb kurz vor einem halben Liter stehen. Er schüttelte das pistolenähnliche Endstück, um sich nicht den kleinsten Rest entgehen zu lassen. Dann hängte er es in die Halterung ein – eigentlich überflüssig, das Ding würde kaum jemals wieder benutzt werden, aber die Macht der Gewohnheit – und drehte sich mit einem entschuldigenden Achselzucken zu der Autoschlange um, die sich an seine Stoßstange reihte. Die Fahrzeuge belegten nicht nur jeden freien Fleck des Tankstellenparkplatzes, sie standen bis auf die Straße hinaus: Autos in allen Größen, Motorräder, die sich vorzudrängen versuchten, kleine Vans... Ihre Besitzer waren ausgestiegen und reckten ungeduldig die Hälse – und er hatte gerade den letzten verdammten Tropfen Benzin aus der letzten Zapfsäule der letzten Tankstelle in Mitteldeutschland gequetscht!
Der Mann mit dem kleinen grünen Fort- Pogeaut hinter ihm – er war alt, sicher 75, also kurz vor der Pensionierung – drängelte sich an Michael vorbei und grapschte wie ein Ertrinkender nach dem Hahn.
„Tut mir leid, ehrlich“, murmelte Michael, ließ sich hinters Steuer fallen und startete den Motor. Bevor der Tumult losbrach wollte er weg sein. Im Rückspiegel sah er, wie der Alte noch immer ungläubig den Schlauch schüttelte und sein ohnehin von Flecken übersätes Hemd um ein paar Ölsprenkel bereicherte. Armer Kerl! Sah aus wie einer, der sich fast ruiniert hatte, um ein Auto zu kaufen, und jetzt konnte er es nicht fahren.
Michael rollte langsam über den Parkplatz, wich zwei Frauen aus, die sich lauthals beschimpften und nicht gerade sanft versuchten, das begehrte Objekt, einen Plastikkanister, an sich zu reißen.
Die Tankstelle war nahezu umzingelt von einer Kavallerie kleiner blauer Solarautos. Die Cops würden sicher gleich Arbeit bekommen. Diesmal ging es nicht um einen dicklichen, reichen Schnösel, der Aufstand probte, weil ihm seiner Meinung nach mehr als die 1-Liter-Ration zustand und er nicht im Voraus bezahlen wollte. Als ob in den letzten Jahren noch irgendeine Tankstelle riskiert hätte, daß sich jemand den Tank mit dem kostbaren Erdölprodukt vollfüllte und sich dann aus dem Staub machte!
Als Michael um die nächste Kurve bog, hörte er hinter seinem Rücken Hupen, wütende Schreie und Megaphonstimmen. Den Rest konnte er daheim in der Online- Zeitung lesen. Sie war täglich voll von Benzinkrawallen und Protestmärschen entlassener Arbeiter von Bohrinseln und Kunststoffabriken.
Noch fünf, sechs Polizeiautos kamen ihm entgegen, dann gehörte die Straße ihm. Wenn man bedachte, wie vollgestopft die Straßen früher gewesen waren! Jetzt war nur noch ein graues, leeres Geisterlabyrinth übrig geblieben, das sich über die ganze Welt zog und langsam verrottete, weil man keinen Asphalt mehr herstellen konnte.
Ein einsames Elektrofahrzeug überholte er mit leichtem Antippen des Gaspedals. Gar nicht schlecht für so eine alte Drei-Liter-Schrottkarre! Mit der Beschleunigung eines Benziners konnten die Alternativen einfach nicht mithalten. Dabei hätten sie wahrhaftig genug Zeit gehabt, diese Schnecken zu entwickeln! Angeblich hatte man schon vor über 50 Jahren gewußt, daß das Erdöl bald zuneige gehen würde. Aber die Wirtschaft hatte zu träge reagiert. Wie Menschen halt immer zu träge reagieren, wenn es um ihre Bequemlichkeit geht. Genau wie mit der Atomkraft. Letzte Woche erst war die Ausstiegsfrist wieder um zehn Jahre verlängert worden, obwohl der GAU in Frankreich noch jedem gut in Erinnerung war.
Trotz des kalten, ungemütlichen Windes öffnete Michael das Schiebedach. Die Tachonadel nährte sich beinahe den 180, das Auto rumpelte und schlingerte über die halb zugeschütteten Schlaglöcher. Seine Haare wehten, er seufzte zufrieden. Es hatte sich wirklich gelohnt, einen halben Monatsgehalt zusammenzukratzen und zur letzten Tankfüllung zu pilgern.
Als der Motor nach knappen zwanzig Kilometern zu stottern begann, ließ er das Auto langsam ausrollen. Schon traurig, dachte Michael und warf einen letzten Blick auf sein geliebtes, nun leider völlig unbrauchbares Gefährt. Noch einmal sog er den vertrauten Gestank nach Abgasen ein. Beinah, als würde ich einen guten Freund zurücklassen.
Dann schlug er den Mantelkragen hoch, steckte seine kalten Hände in die Taschen und machte sich auf den langen Heimweg.
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